Den Blick ins Detail wagen. Warum es sich lohnt, die Sprache in großen Räumen unterzubringen und welche Kernkompetenzen dabei wichtig sind.
Letzte Woche war ich bei einer Lesung: Die Autorin Gümüsay Kübra beschäftigt sich damit, wie Sprache unser Denken und damit unsere Existenz beeinflusst. In ihrem Buch Sprache und Sein arbeitet sie heraus, wie unsere Wahrnehmung von der Welt durch Sprache anerzogen ist – und wie stark uns das auch einschränken kann. Wenn wir von der Welt sprechen, so ihr Plädoyer, müssen wir uns vom Absolutheitsanspruch verabschieden. Der Wunsch, etwas abschließend – also allumfassend – erklären zu wollen, verleitet uns dazu, Stereotype zu bilden und der Sprache enge Grenzen zu setzen.
Sprache in ihren Kontext setzen
Deutlich wird das etwa beim politischen Diskurs, wo der eigene Absolutheitsglaube gegen den anderen Antritt und damit um Wähler buhlt. Spricht man so zum Beispiel über Polizeigewalt, haben wir zwei Aussagen nebeneinander stehen:
- “Die Polizeit schützt uns. Daher ist sie gut.”
- “Die Polizei greift Unschuldige an. Daher ist sie schlecht.”
Beide Aussagen sind real. Um hier nun einen Diskurs zustande zu bringen, müssen beide Aussagen nebeneinander stehen dürfen. Wichtig ist dabei der nächste Schritt: Das Kontextualisieren. Wir müssen unsere Wahrheit nicht bekämpfen gegen eine andere Wahrheit. Wir müssen den Blick ins Detail wagen. Das könnte bei unserem Beispiel dann so aussehen:
- Die Polizei schützt uns in vielen Fällen. Wenn Ampeln ausfallen, regelt sie den Verkehr und wenn ein Unfall passiert, kann man die Polizei um Hilfe rufen.
- Pro Jahr gibt es in Deutschland mindestens 2.000 Fälle von Polizeigewalt. Die Dunkelziffer ist laut Studien fünf mal größer als die offiziellen Angaben.
Es wird also deutlich, an welcher Stelle man hier ansetzen muss. Es geht nicht darum, die Polizei in gut oder schlecht zu trennen, sondern den Fällen von Polizeigewalt auf den Grund zu gehen und diese zu verhindern. An dieser Stelle wird der Diskurs geöffnet: Es kann gefragt werden, ob die Politik sich ausreichend mit der Aufklärung von Polizeigewalt beschäftigt oder ob die Polizist:innen besser ausgebildet werden müssen. So verharren wir nicht im Statischen Es-ist-so-und-nicht-anders-Zustand, sondern machen den Raum, in dem wir all unsere Behauptungen sammeln, größer. Am Ende haben wir in diesem Raum ganz viele (wahre!) Aussagen, die uns das ACAB-Thema von den unterschiedlichsten Seiten zeigen – ein vielschichtiges Bild. Je größer dieser Raum ist – vielleicht hat er sogar große Fenster und gibt Ausblick auf andere Zusammenhänge – desto umfassender ist unser Bild von der Sache – und desto besser können wir sie verstehen.
Manchmal ist ACAB ok – Auch Empathie spielt eine Rolle
Wenn wir uns auf die Mission machen, einen solchen großen Raum für ACAB zu gestalten, dann kommen wir natürlich nicht umher, auch diese Aussage: All Cops Are Bastards, anzuerkennen. Wir haben alle zumindest Teile des schrecklichen Videos gesehen, in dem George Floyd von einem Polizisten in den USA ermordet wurde. Wer hier ein wütendes “All Cops Are Bastards!” ruft, dem möchte man auch nicht mit einem hingerotzten Kommentar daherkommen: “Ja, aber manche Polizisten sind doch gut!”. Klugscheisser mag nämlich keiner. Auch hier geht es nämlich wieder um Kontextualisierung – und um Anerkennung der Wut. Es ist nur verständlich, dass man bei diesem Video auch deutlich wütend wird. Auch hier ist es also der Kontext – und ausserdem eine Portion Mitgefühl, um den Raum der Sprache groß halten zu können.
