Wokes Marketing Gone Wrong

Ein schwierges Wort

Woke – als Begriff unter anderem von der afroamerikanischen Sprachkultur geprägt, später allgemein darauf hindeutend, wach zu sein. Wach und aufmerksam genug, um die Institutionen und sozialgeselllschaftlichen Strukturen um uns herum zu hinterfragen und kritisieren. Jedoch: Bald haben diejenigen, die kritisiert wurden, diesen Begriff überironisiert benutzt – ein üblicher Gegenschlag bei solcherlei Begriffen. Das ist auch passiert mit dem Begriff political correctness/politische Korrektheit

Zuletzt war es nun Fynn Kliemann, der als kritisiertes Kind zum Gegenschlag ausholt – und sich in rechtskonservativer, überironischer Weise am woke-Begriff bedient. Sein Scheitern zeigt derweil deutlich, dass authentisches Brand Marketing nur mit aufrichtiger Innenschau funktionieren kann.

Eine woke Brand, kann das überhaupt gehen?

Wir sehen schon, es ist nicht ganz so einfach mit dem woke sein. Insbesondere, weil es eben, wie viele schönen Dinge, auf ziemlich nervige Weise von rechts torpediert wird. Aber nicht nur das. Es geht auch zuweilen gehörig schief, wenn Menschen oder Unternehmen das Wörtchen benutzen, um sich zu profilieren.

In ihrer Erläuterung des woke-Begriffs erklärt Samira El Ouassil den inflationären Gebrauchs des Begriffs in der Geschäftswelt. (Der Artikel ist insgesamt sehr zu empfehlen, geht er doch auf die mögliche Herkunft des Begriffs und auf seine Problematik ein.)

“Das ging und geht so weit, dass „woke“ inzwischen vor allem als Beleidigung oder mit Abschätzigkeit angewandt wird. Die Begriffe „woke capitalism“ und „woke-washing“ beispielsweise werden benutzt, um Unternehmen zu beschreiben, die halbherzige Unterstützung für progressive Anliegen nur als Feigenblatt für echte Reformen benutzen.” (Quelle: Übermedien, Samira El Ouassil, Aus dem Kliemannsland wird die Neverwokeranch, 22.06.2022.)

Beispiele für woke-washing gibt es viele. Starbucks zum Beispiel: Das Unternehmen ist bekannt dafür, die Gründung einer Gewerkschaft aktiv zu verhindern. Gleichzeitig verkündete Starbucks im Trubel um die neuen Abtreibungsgesetze lautstark, Reisekosten für Abtreibungen zukünftig zu übernehmen. Hier wird zurecht der Verdacht laut: Starbucks geht es an dieser Stelle nicht um Werte. Wenn es um Werte ginge – wie etwa Gleichberechtigung aller – würde Starbucks auch arbeitgeberfreundlich gestaltet sein und die Mitbestimmung durch eine Gewerkschaft begrüßen. Das wäre in letzter Instanz auch der einzig richtige Schritt, um mehr Demokratie in den USA aufzubauen. (Wer bitte, möchte in einem Land leben, in dem die Verantwortung über Abtreibungen in neokapitalistischen Unternehmenshänden liegt? Starbucks spielt hier in das selbe Machtspiel der konservativen, antidemokratischen Kräfte hinein.)

A propos Arbeitsklima: Man muss sich eigentlich gar nicht so sehr bemühen, das Polieren eines unechten Images bei den neoliberalen US-amerikanischen Unternehmen zu finden. Das gibts nämlich auch bei anderen Unternehmen, Institutionen und NGOs. So gab es 2019 etwa eine Mobbing-Affäre bei Amnesty International – toxisches Arbeitsklima ausgerechnet bei den Menschenrechtlern?

Kriterien für richtigen Markenaktivismus

Es ist aber richtig, dass wir als Konsumentinnen wert darauf legen, welche Produkte wir kaufen. Und es ist richtig, dass wir als Angestellte, Selbstständige oder Unternehmer unsere Verantwortung im Blick behalten. Wie wir das machen? Wir sagen nicht auf der einen Seite hü, auf der anderen hott. Wir lassen auf Aussagen auch Taten folgen. Ein Social-Media Post mit entsprechendem Trend-Hashtag ist nur der Anfang, er reicht aber nicht aus. Glaubwürdigkeit ist King. Und die Menschen haben in der Regel eigentlich einen guten Radar, ziemlich schnell zu sehen, wenn Unternehmen unauthentisch sind, Werte vorspielen, anstatt sie zu leben. So bringt es Sarah Böhmer in ihrem Artikel auf Absatzwirtschaft auf den Punkt (“Woke Washing – der Anti-Purpose für Marken”):

“Doch was uns in sozialen Themen wirklich weiterbringen wird, ist eine Veränderung im Verhalten, ein Hinterfragen und Wandel der eigenen Geschäftspraktiken. Ein Statement, eine Aktion, ein Boykott und dann zurück zum Tagesgeschäft – das kann es nicht sein.”

Böhmer wirft dann auch gleich drei praktische Kriterien in die Runde, nach denen wir den Markenaktivismus von Unternehmen bewerten können:

  1. Zeitpunkt: Springt die Marke verspätet auf einen Zug auf, der eigentlich schon ausgelutscht ist, oder wagt sie sich als erste an ihre ganz eigenen Werte, Standpunkte und Wichtigkeiten?
  2. Handlung: Folgen auf Statements auch Handlungen?
  3. Häufigkeit: Bekennt sich die Marke stetig zu ihren Werten oder handelt es sich um eine einmalige Aktion?

Dieser Kriterienkatalog ist schon einmal ein super gutes Standard-Tool. Schauen wir uns jetzt aber den Fall Kliemann an, möchte ich den Kritierien-Katalog um mindestens einen Punkt erweitern. Und dieser Punkt ist ein bisschen delikat.

Werte und Handlungen müssen übereinstimmen

Wie wir gelernt haben, brauchen wir nach einem Statement auch die Handlung. Soweit passte das ja sogar bei Kliemann. Sein Statement war: Alle sollen Zugang zu Masken haben. Und seine für uns Konsumentinnen sichtbare Handlung war: Ich besorge uns ganz viele Masken. Erst später hat sich dann heraus gestellt: Kliemann hat geschummelt. Und die Sache fühlt sich für uns besonders schrecklich an, weil er bewusst geschummelt hat und gerade seine tolle Weltverbesserungs-Message dafür eingesetzt hat, seine Kundinnen wissentlich zu täuschen. Wert und Handlung haben hier also keine Übereinstimmung gefunden, im Gegenteil haben sie sich gegenseitig so weit es nur geht voneinander entfernt. Zurecht fragen wir uns dann: Wer ist Kliemann überhaupt? Kann ich seine Werte überhaupt noch für voll nehmen? Was wir im Grunde bei Kliemann vorfinden, ist Täuschung. Täuschung, es stünde im Marketing-Ethik-Kodex an erster Stelle der Don’ts stehen.

Dass Kliemann jetzt seine Kritikerinnnen als “woke” beschimpft, zeigt, dass er seine Widersprüchlichkeit nicht einmal mehr bemerkt. (Hä!? Natürlich sind wir woke – ist doch was Gutes und kein Schimpfwort!.) Aber es ist auch ein Fehler, den wir in gewisser Form alle machen. Denn wir alle haben unsere Blind Spots bezüglich unseres Selbst – und es ist die große Kür, diese an uns überhaupt erst festzumachen.

Wie finde ich meine Werte?

Ich glaube, zunächst einmal muss man sich an dieser Stelle deutlich machen, dass ein Unternehmen ja von Menschen betrieben wird. Ein Unternehmen oder eine Brand kann nicht woke sein. Es sind stets die Menschen, die das Unternehmen gestalten und im Namen des Unternehmens oder der Brand agieren. Und deshalb müssten – im idealen Fall befinden wir uns bereits im Paradies – in einem Unternehmen, das woke sein möchte, nur super woke Leute sitzen. Aber eben, wir sind eben oft blind gegenüber unseren eigenen Privilegien.

Und wo es Menschen gibt, da menschelt es. Wir haben alle unseren Schatten, den wir jeden Tag zu unserem Arbeitsplatz mitbringen – ob nun CEO oder Warenverpacker. Studien belegen die Privilegienblindheit: Während der eigene Erfolg stets auf die eigene Kompetenz zurück geführt wird, sind die Gründe für Misserfolge ganz klar die äußeren Umstände. Bin ich erfolgreich, habe ich es nur mir selbst und meinen Leistungen zu verdanken. Bin ich nicht erfolgreich, hat das nichts mit meinen Leistungen zu tun, sondern mit dem schlechten Wetter.

Diese Schwächen bilden die Grenzen unserer Wokeness. Aber wir haben auch alle unsere Stärken und Integrität, die unsere alltäglichen Entscheidungen begleiten. Nur weil es da Schatten gibt und weil Starbucks woke-washing beteibt, heisst das nicht, dass wir das mit dem woke sein gleich aufgeben sollten. Im Gegenteil! Es gilt hier wie bei vielem: Wichtig ist nicht so sehr, was wir machen, sondern wie wir es machen.

Woke, das könnte man schon als einen Wert für sich betrachten. Man möchte die uns umgebenden sozialgesellschaftlichen Strukturen erkennen und, wo sie ungerecht sind, auflösen.

Machen wir uns Gedanken über Werte, ist es wichtig, dass wir uns wirklich mit uns selbst auseinandersetzen. Beim Wertefinden geht es nämlich nicht darum, sich zu überlegen, wie man gerne wäre. Sondern darum, zu sehen, wie man eigentlich ist. Es geht nicht darum, Begriffe zu finden, die an uns oder unserem Unternehmen gut aussehen. Wir müssen uns die Frage stellen, was es wirklich ist, das uns morgens aus dem Bett treibt. Nach welchen Maximen wir in Stressituationen handeln. Wer einen Wertekatalog für sich definieren möchte, lenkt einmal für ein paar Wochen lang aktiv und maximal ehrlich seinen Fokus auf dieserlei Fragen.

Die Suche hat kein Ende

Der Weg zum Authentischen – zur aufrichtigen Kommunikation mit unserem Gegenüber – der geht nur über die Innenschau. Wenn wir unsere Werte gefunden haben, ist das nämlich auch nicht das Ende. Zur Werteorientierung gehört auch das Bewusstsein, dass es dabei gibt kein Ende geben kann. Werte wandeln sich. Wert-Begriffe wandeln sich. Wir selbst und die Welt um uns herum – das alles verändert sich rasend schnell. Werte müssen angepasst und neu definiert werden. Werte müssen überprüft werden. Weder die ganz persönliche Innenschau, noch die bewusste (Mit-)Gestaltung unserer Brand oder unseres Unternehmens enden an einem bestimmten Punkt. Wir müssen uns immer wieder ehrlich fragen, warum wir tun, was wir tun, und wie wir es tun.

Kliemann hat genau das nicht getan. Sein Wert hat sich irgendwann verselbstständigt, er hat keinen Anschluss mehr gefunden an ihn, ist verpufft im Universum der leeren Versprechungen. Oder, eine andere Möglichkeit: Vielleicht haben sich seine Werte auch einfach nur stark verschoben. Anfangs war es vielleicht noch: “Ich möchte die Welt zum Guten verändern” – das wurde dann so kommuniziert und Kliemann wurde erfolgreich. Dann die Werteverschiebung: “Profit ist wichtiger”. Das wäre ja total legitim. Kliemann ist nicht der erste, der ein Unternehmen betreibt, indem es primär um Geld geht. Aber sein Unique Selling Point war eben – tragischerweise – die Weltrettung. Aber selbst an der Stelle: hätte er etwa bei seinem unsauberen Maskendeal zumindest nicht einfach das Gegenteil kommuniziert, hätte der Skandal viel weniger tragisch angemutet. Er hätte zum Beispiel auch ehrlich kommunizieren können: Hey, ich will faire Masken für alle möglich machen, aber auf die und die Probleme bin ich gestoßen. Ich würde also weitergehen und sagen: Werte und Handlungen müssen nicht nur übereinstimmen, sie müssen in aller Linie wahrheitsgetreu kommuniziert werden.

Überhaupt die Kommunikation: Wir müssen uns nicht nur mit unseren Werten stetig auseinander setzen, sondern auch mit unserer Kommunikation: was und wie wir kommunizieren. Auch, welche Wörter wir wie benutzen. Nur so können wir wirklich einen wertvollen Beitrag leisten. In diesem Sinne: Lasst uns mal alle schön woke sein – und bleiben!

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