Das herbstliche Rügen hat uns voll erwischt. Es regnet in Strömen, aus allen Kübeln und Eimern, die der liebe Wettergott gefunden hat. Wir sind gut vorbereitet für diesen Urlaub im Spätsommer: Fleecejacken und die gelben Regencapes sind natürlich dabei. Die Wanderschuhe habe ich auch noch schnell imprägniert. Wir sind recht ambitioniert, es ist schließlich unser erster Urlaubstag. Und nun sitzen wir hier am Steinkreis in Nobbin am Kap Arkona. Der Regen prasselt wild ans Fenster unseres Ford Fiestas. Drinnen ist es herrlich gemütlich. Zeit für ein stilechtes Picknick mit Blick auf die stürmische Ostsee. Es gibt Pasta von gestern Abend, das wir mit zwei Gabeln aus einer Tupperdose essen, Schokocroissants und leckere Bio-Limo. Zwischendurch klettere ich auf den Rücksitz und rüste ich mich wetterfest. Ich stapfe zu den mystischen Steinen, einst eine Grabkammer aus der Jungsteinzeit.
SteinGrab Am Kap Arkona

Steingrab Nobbin am Kap Arkona
Mir fährt ein Schauer über den Rücken: Standen hier etwa schon vor Tausenden von Jahren Menschen und haben – so wie ich jetzt – ehrfürchtig den Steilhang hinunter auf die Ostsee geblickt? In der Jungsteinzeit haben sie hier jedenfalls eine Grabkammer gebaut. Die Jungsteinzeit: Diese Zeit beschreibt den Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zur Siedlungs- und Bauernkultur. Die Zeit also, in der wir noch von Ort zu Ort gezogen sind, Beeren gepflückt haben – dann aber so langsam sesshaft wurden und angefangen haben, Felder zu bestellen und Tiere zu halten. Wie haben diese Menschen gelebt, was hat sie bewegt – wie sind sie mit Freude, Glück, mit Trauer und Tod umgegangen? Die Grabstätte am malerischen Kap Arkona war über Jahrtausende lang von Bedeutung für die Menschen hier: gefunden wurden Keramikscheiben aus der Slawenzeit (5. Jahrhundert vor Christus!). Ausserdem wurde eine arabische Silbermünze aus dem 9. Jahrhundert ausgegraben. Wow!
AltweiberSommer
Die Bezeichung Altweibersommer haben wir den Spinnen zu verdanken. Durch den für die Jahreszeit typischen Morgentau werden ihre Spinnweben überall sichtbar. Sie erinnern an die alten Weiber, die für gewöhnlich ihre Zeit mit Weben verbracht haben. Wir sehen hier richtig viele Spinnen überall. Ihre Netze sind mal klein und unscheinbar, mal riesengroß und fast unheimlich. Die Spinnen begleiten uns hier in Rügen überall. Wenn wir morgens, dick eingemümmelt, einen ersten Spaziergang durch das feuchte Gras machen, wenn wir im Wald wandern gehen.

Der erste Tag auf der wunderschönen Insel gibt den Vibe der restlichen Tage vor. Eine Art mystische Dankbarkeit für die Welt stellt sich in uns ein. Wir werden demütig ob unserer kleinen Leben, die wir hier führen im Großen Ganzen. Und das tut uns so richtig gut – uns neurotischen Städtern, ausgebrannt von endlosen Lockdowns und miesen Aussichten für die Zukunft. Nach dem ersten Regentag haben wir nur noch Sonnenschein und wir sind überall auf der Insel unterwegs. Wir haben hier genau das gefunden, was wir gesucht haben: ein bisschen Einsamkeit und leere Strände. Die wunderbare Ostsee im Herbst. Es riecht nach Meer und überreifem Fallobst, Most und frischem Räucherfisch. Von überall hören wir die Vögel rufen, mal einen Trecker übers Feld fahren.
Die Welt Kann Warten
Wir wandern auch viel am Strand entlang, entschleunigen. Wir entschleunigen sogar so sehr, dass wir am Ende gar keine große Lust mehr verspüren auf die sonstigen Sehenswürdigkeiten, die Rügen so zu bieten hat. Binz und Sellin, die schicken Seebrücken und Villen am Strand, Prora und der Baumkronenpfand, die Welt: all das kann auch einmal auf uns warten. Wir hetzen heute einmal nicht den Sights hinterher. Wir frühstücken, beobachten die Sonne und in der Nacht den einmaligen Sternenhimmel mit der Milchstraße. Wir spielen Brettspiele und lachen. Am letzten Tag suchen wir den schönsten Sonnenuntergang der Insel. Ja, es wird jetzt ganz schön kalt: Hallo Herbst!

