Der Erste Mai in Berlin – immer ein aufregender Tag, und eine die Gemüter erhitzende Diskussion: Partyhedonismus oder Kampftag? Viele sagen, Parties täuschen über die Ernsthaftigkeit der Sache hinweg, sie entpolitisieren den eigentlichen Zweck des Ersten Mai. In diesem Jahr ist ja die Demo im Grunewald der angesagte Ort, um gegen das zu demonstrieren, was wir scheisse finden: Kapitalismus. “Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg” so das Motto. Wo Satire ist, ist auch ein Weg: Ausgerechnet im Grunewald aufzukreuzen, wo man es sich von Besitz und Gütern betäubt gemütlich gemacht hat. Sicher ist es an der Zeit, die drögen Viertel aufzuschrecken und denen mal zu sagen: Reichtum ist obszön. Es ist ein Ungeheuerliches, dass Reichtum der Wert unserer Zeit ist, Rücksichtslosigkeit und Gier der Weg sind. Beim symbolischen Ersten Mai geht es unweigerlich auch um Freiräume. So hatte schon im letzten Jahr die Erste-Mai-Demo in Kreuzberg keine Genehmigung, das Fest im Mauerpark wurde erfolgreich verdrängt. So hängt sich unmerklich an die Diskussion um das Wie auch die Frage: Wo denn überhaupt? Welchen Raum gibt Berlin denn her für die beide Subkulturen – Feierkultur und Protestkultur?

Irgendwie ging es auch schon früher darum, dass Protest überhaupt geäußert werden darf. So erreichten die Erste Mai-Proteste vor 90 Jahren im Blutmai ihren traurigen Gipfel. Nachdem Adolf Hitler im Winter zuvor wieder zu öffentlichen Reden zugelassen wurde und sich so die öffentliche Stimmung weiter verschärfte, erteilte der Polizeichef Karl Friedrich Zörgiebel (SPD) 1929 ein öffentliches Versammlungsverbot. Die KPD rief dennoch zu friedlichen Protesten für den Ersten Mai auf. Das Ergebnis: 33 Protestierende wurden erschossen, die Polizei ging erbarmungslos vor. Schauplatz war der rote Wedding. Die Serie Babylon Berlin thematisiert nicht nur die Strassenschlachten in der Vorzeit des Nationalsozialismus, sondern auch die Geschichte, wie die Polizei durch Vortäuschung einer Schussverletzung versuchte, ihre brutale Gewalt gegen die unbewaffneten Protestierenden zu rechtfertigen. Die KPD wiederum warf der SPD Verrat an der Arbeiterklasse vor – ein weiterer Bruch der Kräfte gegen den Nationalsozialismus.

Polizeigewalt gibt es auch heute: der G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell Proteste aus dem Ruder laufen (auf der polizeigewaltigen Seite, versteht sich). Auch gab es vor ein paar Wochen im Mensch Meier eine Aktion der Polizei, die anscheinend mehr mit Gewalt, Willkür und politischer Einflussnahme, als mit der eigentlichen Aufgabe der Polizei, nämlich Wahrung der Rechte, in Verbindung zu bringen ist. Die Polizei stürmte den Club am Tag, an dem eine Soliparty für die Seenotrettung geplant war. Wenn das kein Zufall ist. Ich glaube, die Zeiten des unkontrollierten Freiraums sind vorbei. Und mit der Verdrängung von sozialen Räumen, den explodierenden Preisen auf dem Wohnungsmarkt und zunehmender Kontrolle der Polizei bekommen sogar die Karl-Marx-Nackensteaks einen blutigen Beigeschmack.

